Strukturelle Hürden für muslimische Wohlfahrtspflege

NEWCOMER UNTER ETABLIERTEN

Die islamische Wohlfahrtspflege agiert noch lange nicht auf Augenhöhe mit Caritas, Diakonie oder Arbeiterwohlfahrt. Aber die muslimischen Anbieter professionalisieren sich in einer Zeit des Wandels.

Für Erika Theißen war es eine „verrückte Idee“, aus der die Selbsthilfeinitiative für muslimische Frauen entstand. „Wir Frauen brauchten einen Ort, an dem wir Platz für unsere Bedürfnisse haben“, schreibt sie in der Festschrift zum 25-jährigen Bestehen des 1996 ins Leben gerufenen Kölner Vereins „Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen“ – heute ein mittelständischer Sozialbetrieb mit über 100 Mitarbeitenden.

Der Verein ist anerkannter Vorreiter in der muslimischen Sozialarbeit. Zugleich räumt die zum Islam konvertierte promovierte Bildungswissenschaftlerin Theißen ein: „In der Wohlfahrtspflege stoßen muslimische Initiativen noch oft an eine gläserne Decke.“

Keine Angebote für Muslime

Dabei ist der Bedarf an religions- und kultursensiblen Leistungen der Wohlfahrtspflege groß: In Deutschland leben rund 5,5, Millionen Muslime. Doch die klassischen Träger Caritas und Diakonie haben bislang kaum auf Muslime oder Aleviten zugeschnittene Angebote im Portfolio.

Laut Michael Kiefer, Professor mit dem Schwerpunkt muslimische Wohlfahrtspflege an der Universität Osnabrück, gibt es bislang keine professionell aufgestellte muslimische Wohlfahrtspflege. Angebote „in konfessioneller Bindung für Muslime sind eher eine Randerscheinung“, schreibt Kiefer in der Publikation „Migration und Soziale Arbeit“ des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS) in Frankfurt am Main. Deshalb seien Muslime faktisch gezwungen, „Angebote der etablierten Wohlfahrtspflege anzunehmen, die deren Traditionen nicht berücksichtigen“.

„Erfolg ist kein Glück“

Die fast logische Folge: Hilfe zur Selbsthilfe. Hanım Ezder, Geschäftsführerin des Begegnungszentrums, berichtet, man sei 1996 auf eine Marktlücke gestoßen. Der Rest des langen Weges zum etablierten Sozialträger basiert auf Wagemut, Beharrlichkeit, Zielstrebigkeit – und Professionalisierung: „Erfolg ist kein Glück“, betont Ezder.

Das Begegnungszentrum wurde 1998 Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband NRW – als erster muslimischer Migrantenverein. Später folgten öffentliche Anerkennungen, etwa als Träger der freien Jugendhilfe im Jahr 2000. Das ist die zwingende Voraussetzung, um sich durch staatliche Gelder zu finanzieren. So gelang es, in immer neue Arbeitsfelder vorzudringen.

Strukturelle Hürden für Muslime

Und doch bleiben strukturelle Hürden. Muslimische und alevitische Organisationen sind eher „Newcomer“ in einem gesättigten Markt durch die etablierten Träger. „Die größte Herausforderung besteht darin, die Vorbehalte gegenüber muslimischen Organisationen generell abzubauen“, sagt Adeel Shad, Geschäftsführer des 2018 von der Religionsgemeinschaft Ahmadiyya Muslim Jamaat (AMJ) gegründeten ersten islamischen Wohlfahrtsverbandes An-Nusrat mit Sitz in Frankfurt am Main.

Dagegen geht seit 2017 ein vom Bund gefördertes Projekt an. Mit Erfolg, wie Anke Strube vom ISS berichtet. Angestoßen hat es die 3. Islamkonferenz (DIK). Die Initiative will zur Entwicklung religions- und kultursensibler Wohlfahrtsangebote beitragen. Die DIK-Verbände und ihre Mitglieder sollen durch Beratung, Qualifizierung und Vernetzung befähigt werden, eigenständige Leistungen der Wohlfahrtspflege anzubieten. Das Projekt läuft Ende des Jahres aus.

„Wir müssen dicke Bretter bohren.“

„Unsere Ziele haben wir erreicht“, sagt Strube dem „Evangelischen Pressedienst“. Die Professionalisierung in den Verbänden und Gemeinden komme voran. Die muslimischen Träger träten selbstbewusster auf, böten sich offensiv als kommunale Partner an. Dennoch bleibe noch viel zu tun: „Wir müssen dicke Bretter bohren.“ Denn es gebe bislang lediglich vereinzelte lokale Kooperationen, etwa mit der Caritas.

Doch an der Kooperation aller Verbände gehe künftig kein Weg vorbei, so Strube. Wenn alle Einwohner des Landes mit Hilfe und Beratung erreicht werden sollten, dann müssten die muslimischen und alevitischen Anbieter selbstverständlicher und gleichberechtigter Teil des Systems werden: Es stelle sich nicht mehr die Frage nach dem „Ob“, sondern nur nach dem „Wie“. (epd/mig)

Von Dirk Baas

Related Posts